Schüler aus dem Lübbecker Land berichten von ihren Erfahrungen mit dem Doppel-Abitur
In diesem Frühjahr machen durch die verkürzte Schulzeit zwei Jahrgänge gleichzeitig ihr Abitur. Obwohl organisatorisch bisher alles glatt läuft, fühlen viele Schüler, die acht anstelle von neun Jahren zur Schule gingen (G8), sich verstärkt unter Druck. Einige bemängeln zudem, dass ihnen ein Jahr ihrer Jugend genommen wurde.
Die Konkurrenz um Ausbildungsstellen und Studienplätze halten viele der aktuellen Abiturienten für problematisch. Ein Großteil fühlt sich durch die vermehrte Anzahl an Bewerbern benachteiligt. Am Wittekind-Gymnasium in Lübbecke und am Söderblom-Gymnasium in Espelkamp ist angesichts der doppelten Abiturjahrgänge kein Chaos ausgebrochen. „Was die Organisation und Durchführung angeht, hat alles gut geklappt“, bestätigt G8-lerin Christin Schwengel, die in Espelkamp ihre Prüfungen abgelegt hat.
Normalerweise gehen dort rund 160 Schüler in die Prüfungen, in diesem Jahr sind es etwa 100 mehr. Laut Schwengel ist der Druck für die G8-er größer. „Der Stoff wurde sehr schnell durchgenommen und man hatte das Gefühl, dass man es sich nicht erlauben kann, krank zu werden“, berichtet die 18-Jährige. Auch die Lehrer hätten sich besonders Mühe gegeben, standen nach Meinung von Schwengel aber auch unter zusätzlicher Anspannung. „Sie haben öfter gesagt, dass wir uns mit dem Stoff beeilen müssen.“
Auch Anne Nentwich, die am Wittekind-Gymnasium nach acht Jahren ihr Abitur macht, sieht die verkürzte Schulzeit als Herausforderung an: „Die Prüfungen sind ja schließlich dieselben geblieben.“ Sie fügt hinzu: „Ich finde, es sollte klar sein, dass wir in gewissen Sachen nicht so gut sein können, wie die Schüler der 13, weil wir eben ein Jahr weniger zur Vorbereitung hatten.“ Viele haben den Eindruck, dass die G9-er den Abiturprüfungen daher „selbstsicherer und gelassener“ begegnen können, wie Katharina Meier, G8 am Wittekind-Gymnasium, sagt.
Christin Schwengel nennt einen weiteren Kritikpunkt: „Auf gewisse Art und Weise wird uns etwas von unserer Jugend genommen. Viele sind erst 17, wenn sie ihr Abitur machen und wissen noch gar nicht, was sie nach der Schule machen wollen.“ Und wenn sie es wissen, stoßen sie manchmal auf kritische Nachfragen seitens potentieller Arbeitgeber: Eine 17-jährige Mitschülerin wurde im Bewerbungsgespräch gefragt, wie sie denn ohne Führerschein zur Arbeit kommen würde.
Schwengel und ihre Freundin Ronja Buchholz wissen, was sie wollen: Schwengel wird ab Herbst eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation machen, Buchholz ein Freiwilliges Soziales Jahr.
Der Weg dorthin war jedoch nach Ansicht der Mädchen mit mehr Aufwand verbunden als üblich. „Wir haben gemerkt, dass es viel schwieriger ist, zu Vorstellungsgesprächen eingeladen zu werden oder einen Studienplatz zu bekommen“, bestätigen beide.
Tim Rohlfing, der am Wittekind-Gymnasium die Jahrgangsstufe 13 besucht und durch das Doppelabitur eigentlich keine Auswirkungen auf seine Schullaufbahn sieht, bestätigt, „dass es in Vorstellungsgesprächen sehr viel Konkurrenz gab“.
Laut Arbeitsagentur gibt es jedoch noch immer viele freie Ausbildungsstellen – und das in beinahe allen Branchen. Das liegt zum einen daran, dass im Kreis Minden-Lübbecke mit 1.635 freien Stellen 15 Prozent mehr als im Vorjahr gemeldet wurden. Die Zahl der gemeldeten Bewerber stieg trotz Doppelabitur mit 1.922 jedoch nur um fünf Prozent an. Von diesen waren bei der jüngsten Prüfung Ende März noch 941 unbesetzt.
Nicht nur die Schüler, auch die Lehrer und Direktoren an den Schulen stellt der doppelte Abiturjahrgang vor große Herausforderungen. „Dank der guten Vorbereitung des Lehrerteams haben wir bisher aber alles ohne größere Probleme gemeistert“, sagt Ingrid von Mitzlaff, Leiterin des Gymnasiums in Rahden. So habe das Lehrerkollegium einen Flur komplett abgeschottet, um dort die Abiturklausuren schreiben zu lassen.
Nur beim Toilettenbesuch stießen die Organisatoren manchmal an ihre Grenzen. „Bei den Toilettenbesuchen dürfen die Schüler nicht miteinander reden“, sagt von Mitzlaff. Darum dürfen die Schüler immer nur einzeln aus dem Raum. Zusätzlich gibt es eine Fluraufsicht. „Zeitweise haben sich aber so lange Schlangen gebildet, dass wir auch ganze Gruppe gleichzeitig auf die Toilette gelassen haben – mit einer Aufsicht, die sicherstellte, dass die Schüler sich nicht austauschen.“
Die Schüler in Rahden schreiben noch bis nächsten Montag Klausuren. Zwischen dem 13. und 17. Mai folgen die mündlichen Prüfungen. An zwei Tagen fällt für die übrigen Schüler der Unterricht komplett aus. „An den übrigen Tagen kann es zu vereinzelten Ausfällen kommen“, sagte von Mitzlaff gestern, kurz bevor sie sich an den Computer setzte: Die zentral gestellten Mathematikklausuren warteten auf den Download.
Neue Westfälische vom 16. April 2013