Ein Schüler als Chorleiter
Montagabend im Thomashaus. Im großen Saal erklingen ein paar kräftige Akkorde vom Klavier. Es wird gelacht, die Stimmung ist gelöst. Dann wird es ruhiger. Eine bekannte Melodie ist zu hören. Das Lachen verwandelt sich in Singen. Es wird geprobt.
Der Mann am Klavier ist nicht etwa Roger Bretthauer oder ein anderer bekannter Chorleiter aus heimischen Gefilden. Er ist noch sehr jung, ein Schüler, kurz vor dem Abitur stehend. Vor ihm haben sich seine Altersgenossen vom Söderblom, gut 25 an der Zahl aufgebaut und konzentrieren sich auf Paul Knizewski’s Dirigat. Ein Schüler als Chorleiter – geht denn so etwas? Es geht. Paul muss sich zwar immer wieder mal durchsetzen. Aber das junge Ensemble hört auf ihn – Männlein wie Weiblein. Schließlich weiß der junge Mann, der gerade seine C-Musikerprüfung ablegt, auch genau was er will und vor allem, wie es klingen soll.
„Ihr müsst chorisch atmen, wenn euch die Luft droht wegzubleiben“, rät er den Sängern. „Ihr solltet immer dann atmen, wenn der Nachbar gerade nicht atmet. Dann gibt es auch keine Klanglöcher.“ So weit, so gut. Aber auch so etwas hört man vom „Chef“: „Hört mal auf zu reden da hinten. Gegen diese Geräuschkulisse kommt man ja nicht mehr an.“ Sie singen moderne, geistliche Stücke, gleich vierstimmig, darunter auch ein Englisch sprachiges Weihnachtslied. Begleitet und unterstützt wird der Jungmusiker von Daniel Karla, der später am liebste einmal Jazz-Piano studieren möchte. Er improvisiert ein wenig bei der Begleitung, das kommt gut und passt zu den Stücken. Genauso wie für Axel Knizewski sind für Karla die Chorproben auch eine gute Möglichkeit Praxiserfahrungen zu sammeln fürs mögliche spätere Studium. Vor allem für Paul Knizewski, der später am liebsten ein A-Kirchenmusiker-Examen absolvieren möchte, kommt die pädagogische Erfahrung hinzu. Wie erkläre ich es den Choristen am besten? Und wie gehe ich mit ihnen überhaupt um?
Paul Knizewski jedenfalls agiert fast wie ein Profi. Er wirkt überhaupt nicht verunsichert, wenn von den Mädchen der Spruch kommt: „Mit den Jungens hast du aber jetzt genug geprobt. Wir wollen auch mal drankommen.“ Kein Problem. Jede Stimme kommt an die Reihe, bis die Vierstimmigkeit halbwegs klingt.
Die 25 bis 30 jungen Erwachsenen haben sich unter der Leitung von Axel Knizewski zum Abi-Chor zusammengeschlossen. Bereits in der Jahrgangsstufe 12 haben viele von ihnen den vokalpraktischen Kurs mit Roger Bretthauer absolviert. „Da kam dann die Idee auf, bis zum Abi-Gottesdienst quasi weiterzumachen“, so Knizewski im Gespräch mit der NW. Der Gottesdienst ist erst im Juli 2012. Da bleibt dann noch genügend Zeit etwas Vernünftiges zu proben. Weltliche Chorliteratur soll das Repertoire noch ergänzen. Zum ersten Mal öffentlich tritt der Chor auf Zeit am 2. Advent, 4. Dezember, 11 Uhr, beim Gottesdienst in der Michaelskirche in Erscheinung.
Bisher wurde immer nur drei Wochen vor dem Abi-Gottesdinst mit den Proben begonnnen, weiß Knizewski. Und ein Schüler war wohl noch nie der Chorleiter.
Neue Westfälische vom 23. November 2011