„Die Verwandlung“ – Kafka auf unserer Bühne
Am 1. Juli 2025 verwandelte sich die Aula des Söderblom-Gymnasiums in einen Ort zwischen Realität und Albtraum. Der Literaturkurs 2024/25 präsentierte unter der Leitung von Frau Fißmer eine intensive neu interpretierte Bühnenfassung von Franz Kafkas Die Verwandlung.
Das Ergebnis war mehr als ein Theaterabend: Es war eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, was geschieht, wenn ein Mensch aufhört zu funktionieren.
Bereits der berühmte erste Satz der Erzählung „Als Georgie Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt“ wurde nicht nur (leicht angepasst) gesprochen, sondern gelebt. In unserer Interpretation stand die Verwandlung Georgies nicht für ein rein körperliches Phänomen, sondern für einen seelischen Zusammenbruch, ausgelöst durch Überforderung, Leistungsdruck und Isolation in der modernen Arbeitswelt – ein Thema, das bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat.
Kafka trifft Gegenwart
Unsere Inszenierung blieb dem Handlungsgerüst der Erzählung treu, tauchte jedoch tief in die Deutung ein. Für uns war die Verwandlung nicht mysteriös, sondern eine logische Folge gesellschaftlicher Überlastung. Georgie wurde nicht durch ein Kostüm zum Käfer, sondern durch Körpersprache, Lichtgestaltung und symbolisches Spiel. Ihr Wandel war psychisch, nicht physisch.
Auch die Familiensituation wurde von uns neu interpretiert: jede Rolle war weiblich angelegt, so entstand nicht nur aus dem Protagonisten Gregor die weibliche Hauptrolle Georgie, sondern beispielsweise auch aus dem dominanten Vater eine ebenso dominante Mutter. Es wurde deutlich: Georgies Situation ist übertragbar auf verschiedene Familienkonstellation und unabhängig von Geschlecht oder zeitlichem Kontext der Figuren.
Am Ende warf Georgies Tod für uns die Frage auf: Wer ist in der Erzählung eigentlich das Ungeziefer? Und so waren es die anderen Familienmitglieder, die am Ende mit Fühlern von der Bühne abgingen.
So arbeiteten wir – vom Text zur Inszenierung
Die direkte Arbeit an unserer Inszenierung begann im November mit einer intensiven Textarbeit. Gemeinsam lasen wir Kafkas Erzählung, analysierten Figuren und Motive und diskutierten verschiedene Interpretationsansätze. Bald wurde klar: Wir wollten nicht einfach nacherzählen, wir wollten deuten und gestalten. Unsere eigene Version.
In Kleingruppen entwickelten wir Szenen und neue Texte, führten Theaterübungen wie Standbilder, Monologe, Improvisationen und Bewegungsfolgen durch, um komplexe, emotionale Zustände szenisch sichtbar zu machen. Im Januar ging es dann mit der ersten Szene auf die Bühne und fortlaufend wurden alle weiteren Szenen entwickelt, geschrieben und erprobt. Ende April war das Stück komplett und wir begannen, die Szenen zusammenzusetzen, Übergänge zu entwerfen und die schauspielerische Leistung zu verbessern. Währenddessen wurden auch Bühne, Licht und Musik gemeinschaftlich geplant. Alles spiegelte Georgies zunehmende innere Leere.
Die technische Umsetzung übernahmen die Schülerinnen eigenständig. Jede Entscheidung ob Requisiten, Ton, Licht oder Szene wurde im Austausch getroffen und war Teil eines kreativen Gruppenprozesses, bei dem jede Stimme gehört wurde.
Mehr als ein Schulprojekt
Am Ende stand nicht nur eine gelungene Aufführung. Für uns war dieses Projekt ein gemeinsamer Weg mit Ideen, Zweifeln, Diskussionen und Leidenschaft. Wir haben Kafka nicht nur gespielt - wir haben ihn erlebt. Und dabei gelernt, dass seine Fragen heute aktueller sind denn je: Was macht uns zu Menschen? Was passiert, wenn wir versagen? Und wie viel Schwäche erträgt eine Gesellschaft, die auf Leistung baut?
Der Applaus am 1. Juli war schön, aber das größte Geschenk war, gemeinsam gewachsen zu sein. An Kafka. Am Theater. Und ein Stück weit auch an uns selbst.
Mitgewirkt haben:
Leitung/Regie: N. Fißmer
Georgie Samsa: Rawan Al-Janabi
Mutter: Aenna Schrimper & Julia Rodenstein
Großmutter: Nilsu Dibooglu & Liv Utrecht
Grete Samsa: Sofiia Fetova & Emily Stoppel
Untermieterin: Elina Hinz
Vorgesetzte: Kira Niederdeppe
Technik: Jennifer Gaida & Anastasja Penner
Licht: Isabelle Borcherding & Leonie Neufeld