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Jede Bedrohung ernst nehmen
Schulsozialarbeiter Sebastian Schröder und Schulpsychologin Tatjana Grieck zeigten Ursachen, Quellen und Lösungen im Zusammenhang mit Schulängsten auf.
Espelkamp (WB). Die Amokläufe in Erfurt und Winnenden haben die Nation geschockt. Und im vergangenen Jahr sorgte am Söderblom-Gymnasium ein verdächtiger Zettel mit einer entsprechenden Drohung für Angst unter Lehrer und Schülerschaft (wir berichteten).
Daher wurde jetzt auf Wunsch der Eltern ein Vortrag veranstaltet, in dem Ängste, deren Ursachen, Quellen und der Umgang mit der Angst beleuchtet wurden.
Tatjana Grieck von der Schulpsychologischen Beratungsstelle Minden-Lübbecke und der Schulsozialarbeiter von Söderblom und Birger-Forell-Realschule, Sebastian Schröder, beleuchteten vor etwa 50 Besuchern die verschiedenen »Schul-Krisen« - angefangen bei der Rangelei über Mobbing bis hin zur Amoklauf-Drohung. »Wie können wir unsere Kinder schützen? Wie können wir unseren Kindern helfen, mit ihren Ängsten umzugehen?«, fragte ein Vater.
»Das Bild der Schule hat sich gewandelt. Sie vermittelt den Menschen nicht mehr das Gefühl von Sicherheit«, sagten Grieck und Schröder und fügten hinzu, dass Kriminalitätsstatistiken dies sogar bestätigen würden.
Gleichzeitig hinterfragten sie aber auch, ob es nicht schon immer Krisen an Schulen gegeben habe. Sie spannten den Bogen zur schlimmsten Krise - dem Amoklauf - bewusst weit. Was früher Prügeleien gewesen seien, seien heute Mobbing oder Erpressung.
Für diese Krisen hätten sich Streitschlichter, Schulsozialarbeiter und andere präventive Maßnahmen bewährt, so auch an Gymnasium und Realschule. »Ein Amoklauf kann - leider - jederzeit immer wieder irgendwo auftreten«, sagte Grieck deutlich.
»Wir können und werden ein Amoklauf-Szenario an einer Schule nicht üben«, sagte Grieck und Christiane Seibel pflichtete ihr bei. »Kein Schüler kennt das Geheimsignal für einen Amoklauf«, betonte Seibel, versicherte aber, dass jeder Lehrer geschult sei, in einem Amoklauf-Fall alles zu tun, um seine Schüler zu schützen.
Grieck verglich: »Ein Feueralarm an der Schule. Für viele Schüler ist diese Übung ein faszinierender Moment. Die ganze Schule wird evakuiert. Die Lehrer sorgen dafür, dass die Schüler geordnet die Klassen verlassen und sich auf dem Schulhof begeben. Kaum ein Schüler hat wohl Angst, ob oder dass dieses Szenario Wirklichkeit wird.«
»Es gibt keine absolute Sicherheit. Jede Drohung, jede Krise und jede Angst sollte aber ernst genommen werden«, sagte Grieck. Ein Schutz vor all diesen Krisen sei deswegen nur als fortwährende Aufgabe zu gewährleisten.
Jede Krise könne und müsse bewältigt werden. Ängste seien natürlich. »Es nutzt nichts, einem die Angst auszureden«, sagte Grieck und machte gleichzeitig darauf aufmerksam, dass Angst einen ansteckenden Effekt hat.
Sowohl Mitschüler, Eltern und Lehrer, sowie nicht zuletzt der Schuldruck könnten für Ängste sorgen. »Was können Eltern tun?«, fragte Grieck. Hilfreich sei es auf jeden Fall, wenn Eltern ihre eigenen Ängste bewältigen würden. Aber auch sie sollten nicht verdrängen. Das Aufbauen von gegenseitigem Vertrauen und die gegenseitige Unterstützung würden als nächste Schritte helfen. Falsch wäre es, schon vorhandenen Druck auszubauen.
Nur Lehrer, Eltern und Schüler gemeinsam könnten für ein gutes Schulklima sorgen - und das sei eine fortwährende Aufgabe, erinnerte Grieck noch einmal. Sie sagte aber auch: »Es gibt keine absolute Sicherheit. Nehmen Sie deswegen jede Bedrohung ernst. Reagieren Sie zeitnah. Ziehen Sie auch die Polizei hinzu.« Grieck freute sich, dass Gymnasium und Realschule einen Notfallplan hätten und somit ein organisiertes Vorgehen möglich sei. »Wichtig«, so sagte sie, »ist Transparenz. Sobald das Wort Amok in irgendeiner Weise gefallen ist, müssen Schüler, Eltern und Lehrer wissen, was passiert ist.« Die Dynamik sei, wie in Espelkamp geschehen, über mehrere Tage groß gewesen. »Es darf sich keine bleibende Angst festsetzen - und manchmal hilft eben nur noch externe Hilfe«, sagte Grieck.
Die Frage, wie Eltern ihren Kindern beim Umgang mit Ängsten helfen können, beantwortete Christiane Seibel. Das Gymnasium sei aufgrund seiner christlichen Trägerschaft auch für dieses Thema sensibilisiert und es stünden jederzeit kirchliche Seelsorger zur Verfügung. »Als ein evangelisches Gymnasium ist das Thema Sterben und Tod zudem auch Teil des Religionsunterrichts - spätestens ab der neunten oder zehnten Klasse«, erklärte Seibel.
Grieck ging noch einmal auf den Fall am Söderblom im vergangenen Jahr ein. In ihrem Zuständigkeitsbereich habe es ebenfalls schon einen Fall gegeben, wo ein Schüler, der eigentlich nur einen Schrecken verbreiten wollte, ungewollt ein Vorgehen der Polizei auslöste. Dies habe sogar bis zum Besuch eines Spezial-Einsatzkommandos geführt, das die ganze Wohnung der Eltern auf den Kopf gestellt habe.
Espelkamper Zeitung vom 04.03.2011