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Demenz aus der Enkelperspektive

Erstellt von Kirsten Tirre am in Kategorie: Deutsch

Der Literaturkurs des Söderblom-Gymnasiums beteiligt sich mit Gedichten und Erzählungen an der Netzwerkkonferenz. Schüler erzählen, wie sie sich dem sensiblen Thema genähert haben.

"Demenz - dabei und mittendrin ?!" ist der Titel einer Netzwerkkonferenz, zu der Donnerstag, 14. März, ins Bürgerhaus eingeladen wird. Weil Menschen mit Demenz ganz besonders unter dem Verlust ihrer familiären und beruflichen Stellung leiden, steht die Teilhabe an der Gesellschaft im Mittelpunkt. Und weil zur Gesellschaft alle Altersgruppen gehören ist in die Veranstaltung auch der Literaturkurs der Q2 am Söderblom-Gymnasium eingebunden, der sozusagen die Enkelperspektive einnimmt.

Dass die 17- bis 19-Jährigen ihre Werke bei einer Veranstaltung auf Gut Renkhausen gemeinsam mit Musikstipendiaten der Sparkassenstiftung öffentlich präsentieren hat bereits Tradition.

Doch in diesem Schuljahr kam auf den Literaturkursus noch eine weitere Herausforderung zu. Sabine Wüppenhorst vom ambulanten Hospizdienst in Lübbecke, die ein Kind am Gymnasium hat, hatte die Idee, dass der Literaturkurs die Netzwerkkonferenz mit eigenen Beiträgen bereichern könnte. Eine Idee, die bei den Netzwerkkoordinatoren wie auch der Schule Anklang fand.

»Jeder musste seinen ganz eigenen Weg finden«

Ende 2018 erhielten die Schüler Besuch von Demenzfachberaterin Martina Sporleder, Netzwerkkoordinator Hartmut Emme von der Ahe und Sabine Wüppenhorst. Die drei führten als Experten den Literaturkurs in die Thematik ein, informierten über das Krankheitsbild, den Verlauf und die Gefühlswelt von Alzheimererkrankten, um den jungen Menschen das nötige Hintergrundwissen zu geben. "Wir haben dadurch einen sehr guten Einblick bekommen", sagt René Kramme.

Fachlehrer Andreas Ferling konnte den Schülern von eigenem Erfahrungen berichten, die er in der langjährigen Begleitung eines an Demenz erkrankten Familienmitgliedes machte. Martina Sporleder: "Wir haben nur gesagt, was wir uns vorstellen können, das Ganze aber bewusst sehr offen gehalten."

Zu Beginn sei es schwierig gewesen, etwas über Demenz zu schreiben, erzählen die Schüler. Überhaupt einen Anfang zu finden. "Auch weil man nicht wusste, was kann und darf man schreiben", sagt Moritz Tim Schmidt. Denn die meisten der 16 Kursteilnehmer hatten selbst noch keine Erfahrungen mit Menschen mit Demenz gemacht. Lediglich der eine oder andere war mit dem Thema durch das diakonische Praktikum in einem Pflegeheim oder der Physiotherapie in Berührung gekommen. "Jeder von uns musste seinen ganz eigenen Ansatz finden", erzählt Marc Schütte.

Als Fußballfan hat ihn das Schicksal des Fußballmanagers Rudi Assauer beschäftigt, der am 6. Februar an den Folgen seiner Alzheimererkrankung starb. "Er ist eine Berühmtheit und hat es vielleicht nicht einmal mehr gewusst", sagt der 17-Jährige. Durch Internetrecherchen hat er den Lebensweg des Fußballmanagers nachvollzogen und dann eine Erzählung darüber geschrieben, wie es wohl wäre, wenn Assauer einen Film über sein eigenes Leben als bekannte Persönlichkeit sieht.

Anna-Lea Hübner hat sich für ein Gedicht entschieden und den "Verlust" in den Mittelpunkt gestellt. Sie habe bewusst versucht, sich von Stereotypisierungen zu lösen und auch nicht die Perspektive eines Erkrankten einzunehmen. "Es geht immer um ein Grundgefühl des Verlustes, egal ob als Angehöriger oder als Betroffener", war ihre Grundidee.

"Jeder musste seinen ganz eigenen Weg finden", sagt Deutschlehrer und Literaturkursleiter Andreas Ferling, der Hilfestellungen und Impulse gab. So konnten sich die Schüler von lyrischen Texten über Demenz im Internet ebenso inspirieren lassen, wie von den "Weck-Worten" des Poetry-Slammers Lars Ruppel, deren Ziel es ist, durch Gedichte Erkrankte emotional anzusprechen und ihre Lebensqualität zu steigern.

Vermittelt wurden von Andreas Ferling Methoden zur Verbesserung von Texten. Dazu gehörte auch eine Metaphernwerkstatt. "Meine Rolle war nicht Texte zu korrigieren", sagt er.

»Sehr gut in die Situation eingefunden«

Denn die Schüler sollten beim Schreiben Freiräume haben, im Kursus selbst wurde auch immer wieder Feedback gegeben. Worte wurden durch neue ersetzt und der Literaturkurs befasste sich auch damit, wie sich der Verlust von Sprache als ein Merkmal der Demenzerkrankung sprachlich ausdrücken lässt.

"Die Beiträge, die ich bisher gelesen habe, sind sehr beeindruckend", sagt Martina Sporleder. "Die Schüler haben sich sehr gut in die Situationen eingefunden, eine Vielfalt gestalterischer Mittel und Perspektiven ausprobiert. Neben dem Verlust werden auch Beistand, Zusammenhalt, Zuwendung und Dankbarkeit zur Sprache gebracht." Außergewöhnliche Schreibergebnisse und Texte von hoher Qualität bescheinigt auch Deutschlehrer Andreas Ferling seinem Kurs.

Ausgewählte Beiträge sollen während der Fachtagung den Besuchern in visueller Form präsentiert werden. Ein Gedicht mit dem Titel "Verblasst", das nach Aussage von Martina Sporleder ganz besonders heraussticht, wird während der Netzwerkkonferenz auch vorgetragen werden. Danach gefragt, ob sie auch für sich ganz persönlich etwas mitnehmen konnten, antwortet Moritz Tim Schmidt: "Für mich war völlig neu, was eine Demenzerkrankung für Betroffene bedeutet. Bei mir hat die Auseinandersetzung mit dem Thema ein Bewusstsein geschaffen, die Menschen und ihre Angehörigen besser zu verstehen."

Schüler des Literaturkurses sind: Lukas Friesen, Jolina-Catharina Geenen, Marei-Kristin Gräber, Anna-Lea Hübner, Carina Husemeier, Katharina Kettler, Robin Klostermeyer, René Kramme, Cedric Lorenz, Laura Obernagel, Benito Rehling, Chris Rohrsdorfer, Maren Charlotta Schmelz, Moritz Tim Schmidt, Marc Schütte und Merle Stork.

Neue Westfälische vom 26. Februar 2019