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Gewalt – auf welchem Boden sie wächst

Created by Ralf Kapries am in Kategorie: Pressemitteilungen

Theaterkursus des Söderblom inszeniert erfolgreich „Der Kick“ von Andres Veiel

Espelkamp. Mit gewohnt großem Engagement haben sich die teilnehmenden Schüler des Theaterkurses des Söderblom-Gymnasiums in Espelkamp einem schwierigen Thema genähert: Wie kann Gewalt scheinbar aus den Nichts entstehen? Mit dem Duko-Drama „Der Kick“ von Andres Veiel konnten sie jetzt eine umjubelte Premiere feiern.

Wer über Berlin hinaus Richtung polnische Grenze fährt und durch die Uckermark kommt, ist selbst als großer Naturliebhaber befremdet von einer Öde, die von der Landschaft ausgeht und sich in den freudlosen Ortschaften fortsetzt.

Die wenigen zu DDR-Zeiten noch vorhandenen Strukturen sind nach der Wende zerschlagen und durch keinen Gegenentwurf adäquat ersetzt worden. Langsam zerfallende Anlagen der ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) ragen aus den Weiten verwilderten Ackerlandes.

Ein wenig von dieser Öde bringen die Söderblomer auf ihre Bühne, indem sie als Hintergrund eine Negativgrafik wählen, die – nach einem Foto von Daniel Budde – die Schweinemast-LPG in Potzlow, Gemeinde Oberuckersee, zehn Kilometer südlich von Prenzlau zeigen, die am 12. Juli 2002 Schauplatz eines schauerlichen Mordes wurde. Im Alkohol- und Gewaltrausch folterten und ermordeten Jugendliche einen Kameraden und verscharrten ihn neben der Jauchegrube.

In der kühl-distanzierten Inszenierung von Bärbel Brandt und Andreas Ferling sitzen die Darsteller in Straßenkleidung, teilweise in stummem Spiel, vor diesem Hintergrund. Masken – sehenswerte Produkte des Kunst-Leistungskurses 13 unter der Leitung von Hannes Senf – entpersonalisieren sie und zeigen ihre Gefühle in erschreckter Erstarrung. Einzeln, gelegentlich auch paarweise, treten die Protagonisten aus aus der Anonymität der schweigenden Masse hervor in das kalte, grelle „Rampen“-Licht aus Portalscheinwerfern und Verfolgerspot, und erzählen ihren Anteil an den Vorfällen aus persönlicher Sicht. Dazwischen werden Auszüge aus den Verhörprotokollen der Polizei knapp in Szene gesetzt.

Andreas Ferling (Gitarre) und Daniela Geene (Piano) leiten von einer Spielszene zur anderen über, indem sie jeder handelnden Person ein eigenes musikalisches Motiv zuordnen. So entsteht eine massive Bilderschau, die in einer Fülle von Momentaufnahmen das Konglomerat von Faktoren darstellt, welche den Nährboden bilden, auf dem rechtsradikal beeinflusste Gewalt entsteht: mangelnde Bildung, die durch Indoktrination ersetzt wird, Achtlosigkeit, Haltlosigkeit, Verwahrlosung, Verrohung, Perspektivlosigkeit, Langeweile, Lieblosigkeit, Angst, falsche Freunde, latente Menschenverachtung und Diskriminierung „Anderer“, Missbrauch von Alkohol und härtere Drogen sind nur einige von ihnen.

Intensive Probenarbeit hat die Ensembleleistung auf ein insgesamt hohes Niveau gebracht, von dem kein Einzelner wesentlich abweicht. Gern bleiben Carolin Brandt und Florian Obermeier als überforderte Eltern des Mörders im Gedächtnis, oder Miriam Siebeking als Mutter des Ermordeten, die im Grunde das gleiche rechtsradikale Gedankengut hütet, dem ihr Sohn zum Opfer fiel. Mit großer emotionaler Beteiligung verkörperte Christian Bergen den Täter Marcel Schönfeld in den Verhören.

Alle sind auf ein hohes Sprachniveau trainiert, beherrschen sogar die Kunst, an der richtigen Stelle die erforderliche Pause zu machen. Naturgemäß stoßen sie als Laien hier jedoch auch an die Grenzen ihrer schauspielerischen Möglichkeiten. So bleiben die Pausen ungefüllt, Gesten werden schon mal leicht verkrampft ausgeführt und entfalten nicht ihre volle Wirkung. Dadurch entstehen Längen, die durch die Häufigkeit und Breite der Musikstücke leider noch unterstützt werden.

Eine noch schnellere Szenenfolge ließe die einzelnen Momentaufnahmen blitzlichtartiger, dichter aneinanderrücken und letztlich sogar noch beeindruckender werden. Doch auch so gab es von Langeweile keine Spur. „Der Kick“ ist ein thematisch dicker Brocken in einer eindrucksvollen Inszenierung. Auch der Kauf des gut gemachten Programmhefts lohnt sich.

© 2010 Neue Westfälische

Zeitung für den Altkreis Lübbecke, Dienstag 02. Februar 2010