Von lockeren Affären und "Raffkes"

„Letzte Lockerung“: Laienspielkurs des Söderblom-Gymnasiums ruft Zeitgeschichte ins Gedächtnis zurück

Espelkamp. Schöne Frauen, galante Herren, Champagner, Amüsement – der Berliner würde sagen „Amüsemang“ – das ist die Welt des Variétés in der deutschen Metropole der 20er Jahre, auch die „goldenen“ genannt. Ein Tanz auf dem Vulkan, der schon längst zu brodeln begonnen hat mit wirtschaftlichen Problemen und dem unaufhaltsamen Siegeszug der Nazis.


Diese in vielen Facetten schillernde Welt hatte sich der Laienspielkurs
des Söderblom-Gymnasiums unter der Leitung von Bärbel Brand und Andreas Ferling aufs Korn genommen für ihre Inszenierung „Letzte Lockerung“.
Der Titel des selbst zusammengestellten Theaterabends
stammt von Walter Serner, der wie viele andere Schriftsteller der damaligen Zeit – Tucholsky, Kästner, Ringelnatz und andere – in Gedichten und Liedern (Salon-Orchester, Gesang: Birthe Keller) zitiert wurde.
Mittelpunkt des glamourösen Spiels ist der „Rote Salon“, eine Bar mit protziger Theke und goldglitzerndem Varietéeingang.
(Bühnenbild: ein sechsköpfiges Team unter Hans Schneider). Zwei Conférenciers in blauer Satinrobe (Kostüme: Anne Zeller und Team) mit pomadisiertem Haar und aufwändigem Make-upführen durchs Programm (Yvonne Sander, Eike Böker), lässige Eleganz ist ihr Markenzeichen. An der Barund im Lokal werden die Gäste verwöhnt von der Belegschaft aus coolen Barkeepern undleicht bekleideten Unterhaltungsdamen, unauffällig und charmant dirigiert von Johanna Fuhrmannals Chefin.
Und nun beginnt die Show: Die „Flittergirls“ (Choreografie: Anna Nazirov) zeigen Bein und schwingen die Hüften, mit hinreißendemSchwungundKoketterie wickeln sie das Publikum um den Finger. Ehe-Tristesse bei Stephan Fröhlich und Kerstin Frobieter, der letztere durch beherztes Begießen des Treulosen entgegenwirkt, um sich dann mit der Nebenbuhlerin (Alicia Hackemeier) nett zusammenzu
setzen.
Liebling des Abends war Hans Christian de la Motte als Komiker „Kalle“ im Matrosenanzug mit seinem klitzekleinen Akkordeon. Dessen Erzählkunst und Gesang waren so souverän, dass sich die Zuschauer auf den Sitzen
kugelten. Seine Empfehlungen für den Kampf der Geschlechter waren allerdings
eher einfach: „Vier Worte – du hast recht, Liebling!“, während in anderen Beiträgen ironisch-subtile oder sehr bissigeKommentarezu diesem Thema zu hören waren, wie etwa beiden„Sogenannten Klassefrauen“ von Erich Kästner. Die absurde Kunst der Dadaisten kam ebenso zu Wort mit „Anna Blume“ – hübsches und schlagfertiges Blumenmädchen war GinaKnoblauch –wie Kabarettistisches aus der Feder von Joachim Ringelnatz. „Seine Turngedichte“ waren Vorlage für den herrlich altmodisch kostümierten Achim Holz als Turnvater Jahn mit seinen Zöglingen und die gelenkigen Kea und Romina Hellmich, die zierlich in „Liebestötern“ am Barren turnten. Ganz bitter ernste Töne wurden angeschlagen, als die drei Kriegsversehrten (Niclas Reil, Felix von Eichel-Streiber, Adrian Jotter) in ihrem Feldgrau und mit Krücken wie eine einzige Anklage das Lokal betraten, bis sie kurzerhandundüberhaupt nicht mehr höflich von der Barbesitzerin rausgeschmissen wurden. „Raffke“ alias Christian de la Motte prahlte mit schmierigen Geschäften, und Lehrer IngoHankeals zwielichtiger „Gentleman“ im beigefarbenen Nadelstreifen-Anzug mit schwarzem Oberlippenbärtchen setzte noch eins drauf: „Interessante Menschen sind immer ein bisschen brutal“. Effektvoller Abschluss: Nach seinem „Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht“ aus „Mackie Messer“ geht das Licht für Sekunden Anzug, denaus. Als es wieder grell aufleuchtet, erscheint Hanke wieder indemselben braunen rechten Arm blutrot geschmückt mit der roten Hakenkreuzbinde erhoben, und lässt ein irres Lachen erschallen. Dem Söderblom-Laienspiel
ist wieder einmal eine mitreißende Inszenierung gelungen, die spielerischundin starken Bildern deutsche Zeitgeschichte ins Gedächtnis ruft.